ÜBER KRIMIS -
Was wir schon immer mal sagen wollten

Interview mit dem hannoverschen Schriftstellerpaar
Ulrike Gerold und Wolfram Hänel
(Hannover im Mai 2024)
 
Was fällt Ihnen beim Stichwort „Krimi“ als Erstes ein?
Wolfram: Bill Ramsey, „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“.
Ulrike: Kalle Blomquist! Mein erster Krimi, den ich mit sieben oder acht gelesen habe. Und dann natürlich die schwarze rororo-Thrillerreihe aus den siebziger Jahren ...
Wolfram: In der Reihe gab es übrigens für jeden Band am Beginn eine kurze Vorstellung der Hauptpersonen, immer mit irgendeiner stilistischen Verknüpfung. Das hat uns so gut gefallen, dass wir es später für einige unserer Titel übernommen haben.
 
Erinnern Sie sich auch noch an das Motto dieser Reihe? Ein Shakespeare-Zitat ...
Wolfram: A faint cold fear thrills through my veins.
 
Thriller oder Krimi, was ist der Unterschied?
Ulrike: Die Grenzen sind fließend. Im Krimi steht normalerweise die Arbeit der Ermittler im Vordergrund, der Thriller setzt mehr auf Suspense, auf Spannung, und rückt zum Beispiel die Täterperspektive in den Blickpunkt.
Wolfram: Aber das eine schließt das andere nicht aus, wir spielen gerne mit beiden Elementen.
 
Wo ordnen Sie Krimi oder Thriller ein – reine Unterhaltung oder doch Literatur?
Wolfram: Das kommt sehr darauf an, nehmen Sie einen Autor wie Henning Mankell, dann haben Sie ganz klar Literatur. Sowohl stilistisch als vor allem auch inhaltlich.
Ulrike: Gleichzeitig gibt es nach wie vor die Groschenhefte wie Jerry Cotton, eher mehr als früher, auch wenn sie jetzt im Hardcover oder zumindest als Englische Broschur daherkommen – es ist und bliebt Trivialliteratur, gerade auch im Bereich der Regionalkrimis.
 
Was macht für Sie einen guten Krimi aus?
Wolfram: Der Kriminalroman bietet die großartige Möglichkeit, die Form der Spannungsliteratur zu nutzen, um mehr als nur eine Geschichte zu erzählen, er schafft die Verbindung zur Gesellschaft, kann Zusammenhänge aufzeigen, Missstände benennen, den Finger in offene Wunden legen.
Ulrike: Und gleichzeitig ein Personal erfinden, das eben nicht der üblichen Schwarz-Weiß-Malerei entspricht, den Abziehbildern von Gut und Böse, sondern ebenso gebrochen, widersprüchlich und komplex ist, wie Menschen nun mal sind. Wobei mich in den letzten Jahren genervt hat, dass wir zunehmend Kommissare haben, die depressiv sind, dem Alkohol verfallen oder sonstwie gestört, ich möchte da doch gerne mehr Leute sehen, die eigentlich ganz intakt sind und mit sich und ihrem Leben klarkommen.
 
Auf Ihrer Homepage steht, dass das Ermittlerpaar in Ihrem Krimi „Der Tote vom Steintor“ nicht nur zufällig an Sie selbst erinnert – meinen Sie solche Figuren?
Ulrike: Ja. Da haben wir uns mal vorgestellt, wie wir wohl so als Kommissare agieren würden, mit unserem Privatleben und einer Welt um uns herum, die uns täglich mit neuen Unvorstellbarkeiten konfrontiert. Was sie ja auch tatsächlich tut, auch in unserem Beruf als Schriftsteller.
 
Wolfram hat seine Examensarbeit im Germanistikstudium zum „Neuen deutschen Kriminalroman“ geschrieben, das war 1982 – worum ging es da konkret?
Wolfram: Eigentlich um genau das, was wir eben schon gesagt haben: Der Kriminalroman als Spiegelbild der Gesellschaft. Mit Ermittlern, die persönlich betroffen sind, die mit den Zuständen hadern, die etwas „besser“ machen wollen, die Welt zu einem besseren Ort machen.
Das war damals tatsächlich neu im Krimi, das hatte bis dahin nur das schwedische Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö geliefert, jetzt kamen bei uns auch Leute wie Breinersdorfer, Huby, -ky mit solchen Themen. Übrigens alle in der schwarzen Thrillerreihe bei Rowohlt.
 
Und was hat sich seit damals verändert? Hat sich etwas verändert? Gibt es eine neue Form der Kriminalliteratur?
Ulrike: In der Folge von Sjöhwall/Wahlöö sind tatsächlich viele großartige Kriminalromane erschienen, eben zum Beispiel auch von Mankell. Was seit geraumer Zeit eine neue Tendenz ist, ist die Brutalität, die Krimis werden immer blutrünstiger, es gibt immer mehr Gemetzel – da werden Augen rausgeschnitten und in Bauchhöhlen vergraben, so was ...
Wolfram: Die Täter sind durchweg Psychopathen, perverse und vollkommen durchgeknallte Bösewichte, schlimmer als jeder die Weltzerstörung planende Psycho bei James Bond.
Ulrike: Die gesellschaftliche Einordnung fehlt, es wird nur noch das Böse an sich dargestellt, es geht um den Schock, den Schrecken, den Albtraum, die Angst als Event. Völlig losgelöst von erklärbaren oder nachvollziehbaren Motiven.
Wolfram: Wenn du heute mit einem Thema zum Verlag kommst, das eine klare Gesellschaftskritik beinhaltet, wird die Antwort eher lauten: „Sehr ambitioniert“ - soll heißen, verspricht keine hohen Auflagen. Im Film geht da zur Zeit sogar mehr als im Print.
 
Mal unabhängig von der thematischen Ausrichtung – bei den Verkaufszahlen steht der Krimi noch vor der sogenannten „Frauenliteratur“ oder „Frauenunterhaltung“. Wie erklären Sie sich diese ungebrochene Begeisterung für Krimis? Was macht den Reiz aus, die Faszination?
Ulrike: Der Kitzel des Verbrechens! Ich lese von Dingen, die ich mir in meinem schlimmsten Träumen nicht hätte vorstellen können – das abgrundtief Böse, das vor meiner Haustür lauert, während ich in Sicherheit bin. Mir kann nichts passieren, darum kümmert sich die Polizei, die mich schützt.
Wolfram: Und im Gegensatz zu den Krimis aus der Zeit davor brauchen wir jetzt auch kein Verständnis mehr für den Täter zu haben, nicht mehr überlegen, was ihn wohl dazu gebracht hat, diese Gräueltaten zu begehen – nur der fiese Perversling ist schuld, die Gesellschaft trägt daran keinen Anteil, also brauchen wir auch nicht zu überlegen, ob bestimmte Zustände verändert werden müssen.
Ulrike: Das heißt, damit wird gleichzeitig auch das Schema Gut-Böse manifestiert, daran ist nicht zu rütteln, Überschneidungen sind nicht erwünscht, es gibt die Guten und die Schlechten, fertig. Das Gute soll und wird siegen!
 
Spiegelt das eine grundsätzliche Tendenz in unserer Gesellschaft wieder?
Ulrike: Natürlich. Schwarz-Weiß-Malerei, Schuldzuweisungen, Sündenböcke, populistische Parolen – passt alles. Schuld haben immer die anderen.
 
Merken Sie das auch in der Rezeption Ihrer eigenen Krimis und Thriller, die ja immer mit gesellschaftspolitischen Untertönen daherkommen?
Wolfram: Wir müssen uns zunächst mal klarmachen, dass sich in der Rezeption vieles grundlegend verändert hat. Es gibt nur noch wenige Literaturseiten in den Tageszeitungen, damit sind die Besprechungen in der Presse deutlich weniger als früher ...
Ulrike: Und die Presse reagiert kaum noch auf Krimis! Krimis gelten für viele Feuilleton-Redakteure auch angesichts der Flut an Veröffentlichungen als trivial, nicht wirklich einer Besprechung würdig.
Wolfram: Es sind auch nahezu alle entsprechenden Sendeplätze in den Rundfunkanstalten eingestellt, gibt es also nicht mehr. Dafür haben wir jetzt Amazon und Lovely Books mit den Bewertungen von -zig Influencer:innen, die ganze Palette von „Fehlerfrei84“ bis „Lesemäuschen92“.
 
Und? Was bedeutet das?
Wolfram: Auf der einen Seite freuen wir uns über die Stimmen von Leser:innen, auf der anderen Seite schreiben da gerne Leute, die nicht wirklich Kritik üben, sondern aus ihrer ganz persönlichen Sicht Urteile abgeben, ohne das Handwerk dafür jemals erlernt zu haben. Und da ärgert und frustriert es uns schon sehr, wenn jemand keinen vollständigen Satz hinkriegt und Rechtschreibung und Grammatik haarsträubend sind, aber uns, den Autoren, „schlechte Sprache“ vorwirft. Schlimm ist hier die Anmaßung, die dahintersteht ...
Ulrike: Natürlich hat das auch mit sozialen Netzen zu tun, die jeden ermutigen und ermächtigen, über andere zu urteilen. Jeder glaubt, kompetent zu sein. Dabei sind die Schwächen allzu deutlich, es fehlt vor allem an Abstraktionsvermögen, auch an Achtung oder Respekt vor der Arbeit eines Schriftstellers – man lässt sich nicht mehr auf eine Geschichte ein. Früher stellte man vielleicht fest, das Buch trifft nicht meinen Geschmack, aber man hat nicht gesagt: „Das ist das schlechteste Buch, das ich je gelesen habe. Bloß nicht kaufen!“ Das ist anmaßend.
Wolfram: Ganz abgesehen von Vorwürfen wie „schlecht recherchiert“, um dann selbst haarsträubenden Unsinn zu verbreiten. Diese neue „Jeder-weiß-alles-und-jeder-weiß-alles-besser“-Mentalität bekommen wir Autoren deutlich zu spüren. Das ist der Dunning-Kruger-Effekt - je weniger ich weiß, desto überzeugter bin ich von meinen Fähigkeiten, die Folge ist eine ungeheure Überschätzung der eigenen Kompetenz. Wer sich auf ein Buch, die Geschichte, die Sprache, die Figuren nicht einlassen will oder kann, wird immer dastehen wie der sprichwörtliche Ochse vorm Scheunentor. Das gilt nicht nur für unsere Bücher, sondern generell.
 
Woher wissen Sie bei Ihren Krimis, ob ein Tatmotiv, wie Sie es beispielsweise in „Fastenzeit“ beschreiben, überhaupt realistisch ist? Wie recherchieren Sie das?
Ulrike: Ein Schulfreund, der Psychologe war, hat uns mal auf eine ähnliche Frage zu einem anderen Titel geantwortet: „Wenn ihr es euch ausdenken könnt, dann kann auch jemand anders auf diese Idee kommen – also ist es natürlich vorstellbar.“
Wolfram: Ansonsten gilt: Unsere Romane sind reine Fiktion, das heißt, wir bedienen uns aller Freiheiten, die in einer fiktiven Geschichte möglich sind. Und natürlich gibt es in Wirklichkeit auch nie so viele Serientäter wie in der Krimilandschaft, kann es gar nicht geben, dann wäre ja schon lange keiner mehr übrig.
Aber wir reden viel mit den verschiedensten Leuten, wir haben viele Freunde aus völlig unterschiedlichen Berufen, und manche Idee, die wir aufgreifen, ist genau so auch passiert – zum Beispiel der Mann, der mit einem Beil im Kopf im Krankenhaus auftaucht, das haben wir von einer befreundeten Anästhesistin („Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte“, Anm. d. Red.). Und die Geschichte mit dem jungen Mann, der gleich in der ersten Therapiesitzung so eher nebenbei erzählt, dass er seinen ersten Mord bereits mit 14 begangen habe, kommt von einem Therapeuten, den wir kennen („Schwesterlein muss sterben“, Anm. d. Red.).
 
Noch mal zurück zu der Tendenz, immer „blutiger“ zu schreiben – Sie haben ja unter dem Pseudonym Giulia di Fano einen Ausflug zum Cosy Crime unternommen - wie kam es dazu?
Ulrike: Nachdem wir für eine Weile ganz erfolgreich im Genre Familienroman unterwegs gewesen waren, kam unser Agent dann plötzlich mit der Idee „Cozy Crime“. Wir wussten erst gar nicht, was er damit meinte, bis er uns aufklärte: Urlaubskrimis, schöne Landschaften, viel Atmosphäre, ein bisschen Mord, aber ohne Blut, sympathische Charaktere als Protagonisten, Spannung und Witz.
Wolfram: Wir hatten keine Ahnung, ob wir das hinkriegen würden, aber wir wollten es gerne mal versuchen. Italien als Sehnsuchtsort – mit ein ganz klein bisschen Mafia, vier starken Frauenfiguren, viel gutem Rotwein und hausgemachten Gnocchi von Mamma Raffaele ...
Ulrike: Und wir hatten so viel Spaß wie lange nicht – ganz ehrlich? Wir waren ein bisschen verliebt in unsere Figuren, die Landschaft, das Essen und die Twists in der Geschichte.
 
Es sind zwei Bände erschienen, warum nicht mehr?
Wolfram: Das haben wir uns auch gefragt. Für den Verlag stimmten die Zahlen nicht, und dann wird so eine Reihe schnell wieder eingestellt. Sie haben allerdings auch weder Werbung gemacht noch sonst irgendwas dafür getan, die Bände waren reine „Programmfüller“.
Ulrike: Das ist auch etwas, was sich grundlegend geändert hat – was vom Verlag nicht als „Spitzentitel“ gehandelt wird, hat kaum eine Chance. Darüberhinaus gibt es genug Beispiele, die zeigen, wie sehr es gerade bei Serien darauf ankommt, einen langen Atem zu haben, durchzuhalten – Ian Rankin hat in einem Interview erzählt, dass sich erst mit dem achten Band der Erfolg einstellte und er sich bis heute fragt, wieso der Verlag ihm bis dahin immer wieder eine Chance gegeben hat. Bei Klaus-Peter Wolf und seinen Ostfriesen-Krimis soll es ähnlich gewesen sein. Ganz ähnlich übrigens auch im Musikgeschäft: Bei den Scorpions hat Polydor viel Geduld gehabt. In diesen Fällen haben die Verlage gesagt: Wir stehen dazu, wir bleiben dabei, wir glauben an die Autoren. Und irgendwann hat es funktioniert. Aber wenn man bereits nach dem ersten oder zweiten Titel die Reißleine zieht, kann das nichts werden. Man muss Autoren und Titel auch aufbauen!
 
Dietmar Bär hat das Hörbuch zu Ihrem ersten Thriller eingelesen. Gucken Sie regelmäßig Tatort? Mit ihm oder anderen Kollegen?
Wolfram: Nee, nicht mehr. Zu viel Fernsehkrimi macht doof im Kopf.
Ulrike: Und wir trauern immer noch Schimanski hinterher. Schimanski und Thanner.
 
Stichwort Self-Publisher – was halten Sie davon?
Wolfram: Nichts. Ich möchte einen Verlag, mit dem ich reden kann, Lektoren, mit denen ich etwas besprechen kann, bei Kaffee oder Wein gemeinsam etwas überlegen, neue Ideen ausbrüten.
Ulrike: Und ich möchte den Vertrieb und den Buchhandel! Ich habe diesen Beruf gewählt, um zu schreiben, nicht um Marketing zu machen oder mich auf Online-Foren zu tummeln. Die Self-Publisher, von denen man liest, dass es bei ihnen großartig läuft, sind die absolute Ausnahme. Alle anderen verdienen hier oder da mal ein paar Cent, das war’s dann aber auch.
Aber klar, Self-Publishing bietet jedem die Möglichkeit, ein Buch zu veröffentlichen, und KI die Möglichkeit, eines zu schreiben. Was dann allerdings auch schnell zum Problem wird – oder längst geworden ist, weil so die Grenzen zwischen absoluten Laien, engagierten Amateuren und tatsächlichen Profis immer mehr verwischen. Jeder kann sich heute als „Schriftsteller“ bezeichnen - und wird von den Medien auch gleich mit dem ersten Buch so genannt. Da halten wir uns lieber an Murakami, der diesen Ehrentitel nur denjenigen zugesteht, die bis zum fünften, sechsten Buch durchgehalten haben.
 
Jeder kann also heute ein Buch schreiben, einen Krimi, einen Spannungsroman - was sagen Sie zu dem großen Erfolg von Dirk Rossmann?
Wolfram: Rossmann ist ein neues Phänomen. Dass da jemand kommt und alles auf den Kopf stellt, den ganzen Buchmarkt, indem er seine gesamten Möglichkeiten für das Marketing einsetzt, nicht nur finanziell. Das, was Rossmann praktiziert, kann sich kein Verlag für einen Autor leisten, weder die ganzseitigen Zeitungsanzeigen noch die allabendliche Werbung auf dem besten und teuersten Sendeplatz direkt vor der Tagesschau. Und damit ist es dann auch kein fairer Wettbewerb mehr!
 
Rossmann gehört also nicht unbedingt zu Ihren Lieblingsautoren, aber wen lesen Sie gerne, wen würden Sie empfehlen?
Wolfram: Henning Mankell, Ian Ranking, Claude Izzo, Leonardo Sciascia, auch Jo Nesbö, wobei der allerdings inzwischen leider deutlich nachlässt.
Ulrike: Fred Vargas, Tana French, Freda Wolff. Padura! Von den rororo-Thrillern von früher auch Van de Wetering ...
Wolfram: Genau! Und von den deutschen Autoren damals auch noch Richard Hey. Und sonst natürlich Boileau/Narcejac. Oder „Blutiger Sommer“ von Japrisot – großartig!
 
Und wer hat Sie am meisten beeinflusst?
Ulrike/Wolfram: Sjöwall/Wahlöö.
Wolfram: In der Folge dann Mankell, nicht nur mit Wallander, sondern auch gerade mit Titeln wie „Die rote Antilope“.
Ulrike: Ein großartiger Titel ist übrigens auch Peter Høegs „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“! Oder Umberto Eco mit „Der Name der Rose“.
 
Sie haben ja auch Kinderkrimis geschrieben, die Adventskalenderkrimis, bei denen jeder Tag ein neues Kapitel zum Aufreißen ist, die „Paul und Prinzessin“-Reihe, die „Jojo“-Krimis. Gibt es da in der Kinder- und Jugendbuchszene einen Kollegen, dessen Titel Sie unbedingt empfehlen möchten?
Wolfram: Ingvar Ambjörnsen. Nicht nur, weil er genauso alt ist wie wir und immer noch lange Haare hat, sondern weil seine „Peter und der Prof“-Krimis sicher die am meisten verkannten Kinderkrimis sind, die hier auf dem Markt waren. Was verdammt schade ist, weil Ambjörnsen da wirklich ein Stück Kinderliteratur geschaffen hatte.
 
Wir sprachen schon darüber, dass jeder ein Buch schreiben kann, aber viele würden gerne und trauen sich nicht. Hätten Sie vielleicht ein paar Tipps, wie man da rangeht?
Ulrike: Nein, wir wollen doch nicht noch mehr Konkurrenz!
Wolfram: Im Ernst? Man sollte sich überlegen, ob die Geschichte, die man schreiben will, auch für andere interessant ist. Und dann muss man sie so aufschreiben, wie man sie selber gerne lesen würde. Das heißt auch: Filmisch schreiben! Kann man sich bei guten Serien abgucken. Wir sprechen da aus Erfahrung, wir sind echte Serien-Junkies.
Ulrike: Und lies deine Dialoge laut, dann merkst du schnell, ob es hakt.
Wolfram: Vor allen Dingen aber: Schreib deine Geschichte auch wirklich zu Ende! Anfangen kann jeder, aber irgendwann hängst du plötzlich mitten im Plot fest, geht uns genauso, nichts passt mehr, alles ist doof – und dann musst du eine Lösung finden und nicht aufgeben!
Ulrike: Guter Trick übrigens beim Krimi: Wenn man mitten im Schreiben auf eine neue Idee kommt, die nicht im Handlungsgerüst stand -  einfach einbauen, ohne groß zu überlegen, ob das jetzt gerade passt oder nicht, im Nachhinein lässt sich fast alles irgendwie begründen. Zur Not musst du eben bestimmte Passagen noch mal umschreiben. Du brauchst immer zwei oder drei Durchgänge, bis alles stimmig ist. Und wenn im Krimi einer nervt, den man erfunden hatte, lässt man ihn eben wieder sterben.
Aber ganz wichtig: Such dir unbedingt einen Agenten, der einen Verlag für dich findet und die Verhandlungen führt, dir vielleicht auch den einen oder anderen Tipp zu Themen oder Genres gibt, und Finger weg von Angeboten im Netz wie „Wir suchen deinen Roman“ – das ist niemals seriös.
 
In vielen Filmen, in denen es um Schriftsteller geht, kommt das Thema „Schreibblockade“ vor – war das auch bei Ihnen schon mal ein Thema?
Wolfram: Nein, darf es auch gar nicht sein, können wir uns nicht leisten. Gilt für alle, die professionell schreiben.
Ulrike: Der Buchmarkt ist unglaublich schnelllebig geworden, Bücher haben manchmal nur noch eine Laufzeit von vielleicht zwei, maximal drei Jahren, bevor sie in den Ramschverkauf wandern. Für uns heißt das, wir müssen immer wieder etwas Neues liefern, um im Markt zu bleiben, eine Backlist so wie früher, von der man ein bisschen zehren kann, gibt es kaum noch. Es verkauft sich nur der aktuelle Titel, Ausnahmen bestätigen die Regel, klar, aber „Longseller“ sind selten geworden.
Wolfram: Das meinte ich damit, das ist der Grund, dass wir uns eine Schreibhemmung nicht leisten können. Ich kann mir allerdings vorstellen, wann das passiert: Da ist jemand ganz neu im Geschäft und landet gleich mit seinem ersten Buch einen gewaltigen Erfolg. Jetzt wird der Verlag alles daran setzen, so schnell wie möglich mit dem nächsten Buch zu kommen. Aber unser Shooting Star hat noch gar keine Erfahrung, beherrscht das Handwerk noch gar nicht richtig, das war ja nur ein Zufall, dass das gleich so abgegangen ist, und jetzt soll er schon wieder liefern, in kürzester Zeit, und es muss auch mindestens so gut werden wie das erste Buch ... Das ist dann wahrscheinlich genau die Situation, in der gar nichts mehr geht.
 
Noch ein paar Sätze zu Ihren Lesungen – Sie treten grundsätzlich gemeinsam mit dem Rockmusiker Arndt Schulz auf – warum?
Wolfram: Wir kommen beide vom Theater, wir wissen also auch, wie man ein abendfüllendes Programm zusammenstellt – es gibt da ja eine Verpflichtung: Wenn wir Leute in unsere Lesungen locken, müssen wir ihnen auch etwas bieten, unsere Gäste sollen sich wenigstens blendend unterhalten fühlen! Und hinterher möglichst sagen: Da will ich nächstes Mal wieder hin!
Ulrike: Wir lesen also nicht nur szenisch, sondern erzählen auch, über uns, über unsere Arbeit, plaudern ein paar Interna aus, auch über den Buchmarkt. Unsere Lesungen sind im besten Sinne inszeniert. Und der Musiker spielt nicht nur am Anfang und am Schluss ein nettes Lied auf der Gambe, sondern die Songs sind in den Text integriert, sie zitieren, illustrieren, konterkarieren, machen die Lesung abwechslungsreich und bunt.
Mal ganz davon abgesehen, dass es für uns als lesende Autoren auch einfach erholsam ist, wenn wir während der Songs eine kleine Pause haben.
 
Apropos Theater: Sie wissen also, wie Schauspieler sprechen, Sie haben genug Stücke gesehen, auf genug Proben gesessen und so weiter – aber gibt es da Kolleg:innen, von denen Sie tatsächlich etwas für Ihre Lesungen gelernt haben, Tricks, die Sie übernommen haben? Wer wäre das?
Ulrike: Natürlich! Es gibt genug großartige Sprecher:innen, großartige Stimmen. Bei unseren Lesungen mit Dietmar Bär haben wir uns in unserer eigenen Art zu lesen bestätigt gefühlt, Bär war ziemlich dicht an uns dran - oder wir an ihm: ruhig, ohne große Gefühlsausbrüche, aber mit präzise gesetzten Pausen und Tempoveränderungen.
Wolfram: Von Max Tidof hingegen haben wir gelernt, ruhig auch mal draufzuhauen, es muss nur gut gesetzt sein! Aber ganz wichtig bei Lesungen ist natürlich der Kontakt mit dem Publikum, der indirekte Dialog, das Einbeziehen der Zuhörer – ich glaube, da hat uns immer am meisten der Varieté-Jongleur Cotton McAloon begeistert, von ihm haben wir uns tatsächlich so einiges abgeguckt. Ein bisschen auch von unserem Theaterkollegen Hartmut El Kurdi. Und ich sicher aus der Probenarbeit mit Peter Henze in der früheren theaterwerkstatt hannover – eher im Ton etwas zurücknehmen, je dramatischer es ist, statt es bedeutungsschwer auszustellen.
Ulrike: Unsere Freundin, die Schauspielerin Cornelia Schweitzer aus München, hat mich da am meisten beeinflusst – kaum jemand kann wie sie ein paar x-beliebige Sätze so sprechen, dass ein ganzer Saal an deinen Lippen hängt. Und sie hat uns ein paar schöne Tricks verraten!
Wolfram: Natürlich haben Ulrike und ich auch viel voneinander gelernt, ganz wichtig für unser Zusammenspiel auf der Bühne, damit es authentisch ist und nicht aufgesetzt wirkt.
 
Eine Frage habe ich noch: Sie haben über zwanzig Kriminalromane und Thriller veröffentlicht, mit den verschiedensten Ermittlern, Kommissaren und Privatdetektiven – kennen Sie auch einen echten Kriminalkommissar persönlich?
Ulrike/Wolfram: Ja klar. Dietmar Bär!
 
Als Nachklapp jetzt aber doch noch einmal Hannover: Vom 15. bis 18. Mai findet hier die „Criminale“ statt, der größte Krimi-Branchentreff Europas – werden Sie als „Hannovers Schriftstellerpaar“ dabei sein? Lesen Sie da womöglich auch?
Ulrike: Wir sind nicht eingeladen. Auf dem Festival lesen wohl allerdings auch nur Kolleg:innen, die im Syndikat sind, im Verein der deutschsprachigen Krimiautoren.
Wolfram: Und wir haben zwar den Aufkleber noch auf dem Auto, sind da aber wieder ausgetreten, als wir zwischendurch mal das Genre gewechselt hatten.
Ulrike: Ich fürchte, das haben sie uns übel genommen! Eigentlich schade. Vor allem weil wir ja Lesungen machen, die echt ein bisschen anders als die üblichen Lesungen sind.
Wolfram: Was ja auch für unsere Krimis gilt ...

Premierenlesung „Fastenzeit“ in der Stadtbibliothek Hannover, 02/24 (Foto: Achim Uhlenhut)

Ulrike Gerold und Wolfram Hänel ...
... (beide Jahrgang 1956) haben Germanistik an der FU Berlin studiert und lange an verschiedenen Theatern gearbeitet, bevor sie gemeinsam zu schreiben begannen - Kinder- und Jugendbücher, Theaterstücke, Reisebücher und Romane. Inzwischen sind über 150 Bücher von ihnen erschienen, die in insgesamt 30 Sprachen übersetzt wurden.
Die beiden Autoren leben und arbeiten heute meistens in Hannover und manchmal in Berlin-Kreuzberg und schreiben seit über zwanzig Jahren im selben Raum und am selben Tisch, ohne sich dabei mehr zu streiten als unbedingt notwendig.
Einig sind sie sich aber vor allem in einer Sache:
"Wir wollen immer noch die Welt verändern!"
Gerold und Hänel sind Spiegel-Bestsellerautoren und Gründungsmitglieder im PEN Berlin.
 
Zu ihren Krimis und Thrillern zählen – neben zahlreichen Kinder-Krimis - die Hannover-Krimis

• „Kein Erbarmen“ (zu Klampen Verlag, 2012),
• „Haarmanns Erbe“ (zu Klampen Verlag, 2015),
• „Der Tote vom Steintor“ (Emons, 2020),

die Skandinavienthriller-Trilogie unter dem
Pseudonym „Freda Wolff“ mit den Titeln

• „Schwesterlein muss sterben“ (Aufbau Verlag, 2014;

             Hörbuch gelesen von Dietmar Bär),

• „Töte ihn, dann darf sie leben“ (Aufbau Verlag, 2015),
• „Nichts ist kälter als der Tod“ (Aufbau Verlag, 2017),

die „cosy crime“ Italien-Krimis unter dem Pseudonym
Giulia di Fano mit den beiden Titeln

• „Vier Signoras und ein Todesfall“ (Knaur, 2022) und
• „Vier Signoras und ein pikantes Geheimnis“ (Knaur, 2023)

der Thementhriller zur Klimakatastrophe

• „World on Fire“ (cbt/Random House, 2022)

sowie die Spiegel Besteller-Reihe

• „Rauhnächte“ (Fischer, 2022),
• „Fastenzeit“ (Fischer, 2023),
• „Wallfahrt“ (Fischer, 09/2024).
  

Ein weiterer Thriller bei Fischer erscheint im Sommer 2025.